Autorin: Ulli Sanou

Aufführung einer Tanztruppe aus Guinea. Ich sitze im Publikum, starre glückselig auf eine hinreißende Tänzerin, die sich atemberaubend zur rasenden Trommelmusik bewegt, und bin außerstande, meinen Blick von dieser rhythmischen Inkarnation abzuwenden. Wäre gar kein Problem, wenn es nicht gleichzeitig noch fünfzehn andere von dieser Sorte gäbe, die denselben Schritt tanzen, aber das so individuell, dass ich mich in jeder einzelnen verlieren könnte. Ich müsste mir das ganze Spektakel fünfzehn mal anschauen, und jedesmal eine andere Tänzerin mit meinem inneren Suchscheinwerfer zwei Stunden lang verfolgen…

Schnitt: Hochzeitsfest in Bamako/Mali. Es ist heiß, trocken, staubig. Ich stehe in einem Kreis aus Zuseher_innen. Innerhalb des Kreises sitzt eine Gruppe von Trommlern, vor denen ständig kleine Feuerwerke explodieren. Bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass es sich dabei um Tänzerinnen handelt, die sich atemberaubend… siehe oben. Glücklicherweise tanzen sie hier einzeln oder zu zweit, daher entgeht einem als Zuschauer_in nicht so viel. Bei manchen hat man das Gefühl, sie tanzen um ihr Leben, für andere scheint es ein amüsantes (und sehr oft erotisches) Spiel zu sein, das sie auskosten und genießen, bis sie von der nächsten im Startloch Wartenden verdrängt werden. 

 

 

Gemeinsam ist ihnen eines: Sie tanzen zu hochkomplexer Trommelmusik. Da wrd man von keinem durchgezogenen Discobeat in die Knie gezwungen, da darf der Körper auf ganz verschiedenen sich überlagernden Rhythmen dahinsurfen, sich nach Bedarf langsamen oder schnellen Wellen hingeben. Die Schaltzentrale, die die Bewegungen steuert und koordiniert, liegt nicht im Gehirn, sondern im Bauch, also der Körpermitte: dort ist das Zentrum und der Anfang aller Bewegung. Konkret: will ich die Hand von A nach B bewegen, geht der Impuls von der Mitte aus und nicht von der Peripherie. Die Hand bewegt sich in die von der Körpermitte initiierte Richtung, wenn der Weg durch den Arm hindurch nicht von allzu vielen Verkrampfungen blockiert ist. Die Eleganz beim Tanz entsteht, indem die organische Bewegung in eine ihr nicht zuwiderlaufende ästhetische Form gebracht wird.

 

Rechts Oumou Mariko, die personifizierte Tanz – Eleganz

 

Die Afrikaner_innen scheinen körperlich nicht so verkrampft zu sein wie wir Europäer_innen, und es könnte ein paar naheliegende Erklärungen dafür geben: Zum einen sitzen sie selten ein halbes Leben lang vor dem Computer oder am Fließband und zum anderen leben sie in einer weitgehend rhythmischen Kultur. In Westafrika (meine persönliche Erfahrung beschränkt sich auf die musikalische Kultur der Bambara, Dioula und Malinke und davon wird im folgenden die Rede sein) wird ständig herumgetänzelt oder getanzt. Auch Omas lieben dort Reggae und Bob Marley. Feste, die mit Tanz verbunden sind, finden fast immer öffentlich statt, mitten auf der Straße, und sind für jede_n zugänglich.

Djembemusik und Tanz sind Geschwister. Zu welchem Zweck allerdings gespielt und getanzt wird, ist von Fall zu Fall verschieden. Manche Europäer_innen sind besonders an den rituell-spirituellen Aspekten dieser Kulturen interessiert, also Ritualen, die oft mit Tranceerlebnissen in Verbindung stehen. Die einen Trance-Tanz begleitende Musik und die tänzerische Bewegung dazu leben üblicherweise von Monotonie. In Bamako konnten wir allerdings Geistheilungsrituale (Jina – Rituale) mit in Trance fallenden Personen verfolgen und dabei einer virtuosen und alles andere als monotonen Musik lauschen. Aber das ist wohl eher die Ausnahme als die Regel. 

 

Tänzerin bei einem Jina – Ritual in Bamako

 

Auch dem Tod sind Tänze gewidmet. Soweit ich informiert bin, ist das den Begräbnisfeierlichkeiten für bedeutende Männer vorbehalten. Eine beeindruckende Feier diesbezüglich haben wir einst in Burkina Faso erlebt – einen Maskentanz mit einem netten kleinen Detail am Rande: man sagte uns, es wäre eine Maske dabei, die könne nicht fotografiert werden, bzw. selbst wenn, dann wäre sie nicht auf dem Foto. Hier ein von uns aufgenommenes Foto dieser Maske (= der rosa-grüne Wirbelwind):

 

 

Der häufigste Grund für Djembemusik und Tanz sind traditionelle Feste ohne rituellen oder religiösen Hintergrund. Sehen wir uns nun so ein  Fest an und gehen wir davon aus, dass es sich um eine Hochzeit handelt. Organisiert wird von den Frauen und Freundinnen der sich durch eine Hochzeit verbindenen Familien, die Männer haben weder mit den Vorbereitungen noch mit dem Fest selbst viel zu tun (Braut und Bräutigam übrigens auch nicht). Die Frauen suchen sich eine Percussiontruppe, verhandeln einen erschwinglichen Preis und vereinbaren einen Termin. Wenn die Trommler am Festplatz erscheinen, sind dort wahrscheinlich schon Sitzbänke kreisförmig aufgestellt, im besten Fall mit einer Zeltplane als Sonnendach darüber. Festlich gekleidete Frauen schwirren herum, und vor allem viele Kinder. Orangenverkäuferinnen nähern sich in der Gewissheit, bald viele durstige Kunden zu kriegen. Die Trommler suchen sich einen möglichst schattigen Platz und die Lehrlinge spielen ein bisschen, was die Kinder als Einladung zum Tanz auffassen. Das geht eine Weile so dahin, bis immer mehr Frauen eingetroffen sind und es langsam ernst wird: Die Kinder werden verjagt, die Trommellehrlinge auf ihre Basisfunktionsplätze gescheucht. Eine Frau beginnt zu singen und an dem Lied erkennen die Trommler, welcher Rhythmus gemeint ist und beginnen zu spielen. Alle anwesenden Frauen fallen in den Refrain ein, viele stehen auf, sie bilden einen Kreis, in dem sie sich singend und tanzend bewegen, bis plötzlich eine von ihnen aus dem Kreis heraustritt, vor die Trommler tanzt und nun beginnt, ein Solo hinzulegen, das in einem sogenannten Echauffement endet. Echauffement heißt Anheizen und das tut es auch: Plötzlich drückt das Gesicht der Tänzerin wilde Entschlossenheit aus und sie beginnt einen bestimmten, sehr schnellen Schritt zu tanzen, die Musik erlebt eine dramatische Geschwindigkeitssteigerung, wird sehr dicht, die Verbindung von Trommler und Tänzerin steigert sich in eine atemberaubende Intensität, bis sie wie nach geheimer Absprache durch ein Signal (Break, Bloquage) aufgelöst wird. Die Tänzerin verlässt den nun nicht mehr ganz so magischen Kreis, und der Trommler empfängt die nächste Frau. Erinnert an Sex, und das ist natürlich kein Zufall. Erotik spielt hier eine große Rolle. Das kann so derb ausgespielt werden, dass es einer sensiblen Europäerin die Schamröte ins Gesicht treibt. Spürbar ist allemal, dass zwischen Trommler und Tänzerin eine Art Vereinigung stattfindet.

 

 

Bei diesen Festen haben die Frauen das Sagen. Die Männer (= Trommler) sind ihnen untertan, richten sich nach ihnen, und wehe, sie machen es nicht gut – pure Verachtung straft einen schlechten oder – noch schlimmer – unaufmerksamen Solisten. Ein guter hingegen, der die Tänzerinnen stets im Fokus hat und mit viel Erfahrung und Intuition das Feuer in ihnen entfachen kann, wird geliebt und, was mindestens so wichtig ist, wieder engagiert. Drissa Kone, der Djembespieler, mit dem wir jahrelang zusammengearbeitet haben, ist so ein guter. Egal, welche Tänzerin vor ihm steht, egal ob sie alt oder jung ist, egal, ob sie „seine“ Rhythmen kennt oder nicht, egal, welche Tanzschritte sie macht – er stellt sich auf unnachahmliche Art auf sie ein.

 

Getanzt wird unabhängig vom Alter, gewürdigt wird (hier von Drissa Kone und seinem Konkonispieler Madou Diabate) jede.

 

Und er hat von den Tänzerinnen viel gelernt. Drissa kommt aus Kuruba, einem Dorf südlich von Bamako. Als er in der Stadt als Profitrommler zu arbeiten begann, musste er viele Rhythmen, die für ihn neu waren, erst erlernen, denn die paar Rhythmen, die in seinem Dorf gespielt wurden, reichten nicht. Um als Profitrommler zu überleben, war er gezwungen, für verschiedene Ethnien zu spielen, zum Beispiel für die Bambara, deren Rhythmen und Tänze er nicht kannte. Aber er kannte Oumou Mariko, ein quicklebendiges und tänzerisch sehr begabtes und begeistertes Mädchen. Sie schlossen Freundschaft und sie sang ihm die Phrasen vor, zu denen die Bambarafrauen tanzen wollten, denn die hatte sie unzählige Male schon gehört und zu ihnen getanzt. 

Alle diese Tänzerinnen könnten – soferne sie die nötige Technik beherrschen würden – tolle Trommlerinnen sein. Die Rhythmen haben sie vollständig intus, aber die Tradition sieht Trommlerinnen nun mal nicht vor, wiewohl es mittlerweile schon einige wenige Ausnahmen gibt. 

 

Oumou Mariko an der Djembe

 

Bestimmte Tänze gehören zu bestimmten Festen: Soli und Sugu beispielsweise sind Rhythmen, die bei Beschneidungsfesten gespielt werden. Ich habe allerdings noch bei jeder Hochzeit in Westafrika (und es waren nicht wenige, an denen ich spielender-, tanzender- und zuschauenderweise teilgenommen habe) mindestens fünfmal den Soli gehört. Also könnte man sagen: früher war es mal so, oder in den Dörfern ist es noch so… In den Städten ist es eher Modesache, welche Rhythmen gespielt werden, manche sind gerade en vogue und andere nicht.

Die Musik ist Gebrauchsgut. Nüchtern betrachtet, wird sie von den Tänzerinnen benutzt und die Trommler sind Dienstleister. Aber es gibt einen Bereich, wo sie zur Kunst erhoben wird: Irgendwann in den letzten 80 Jahren erinnerten sich einige Kulturschaffende in Westafrika, dass sie der Kultur der jeweiligen Kolonialherren tatsächlich etwas entgegenzusetzen hatten – ihre eigene, wunderbare, rhythmisch unübertroffene. Und sie begannen die Rhythmen, Tänze und Lieder aller Regionen der einzelnen Länder zu sammeln und zu faszinierenden Bühnenwerken von unglaublicher Rasanz und beeindruckendem Feuer zu arrangieren. (Die mitwirkenden Musiker und Tänzer_innen haben übrigens in ihren Pässen unter Beruf „Artiste“ stehen – während normale Festmusiktrommler meistens nicht mal einen Pass besitzen). Wer je die Gelegenheit hat, das Nationalballett von Guinée oder Mali zu sehen, sollte sie nicht vorübergehen lassen.

Noch ein Wort zur Bedeutung der Tanzschritte: Bei manchen kann man sich wohl irgendeine Tätigkeit aus dem Lebenszusammenhang vorstellen. Auch gibt es Rhythmen, die bestimmten Berufsgruppen zugeschrieben sind und im Tanz deren Tätigkeit stilisiert ausdrücken. In den meisten Fällen aber es geht einfach um die Lust an der Bewegung zu einer Musik, die Bewegung geradezu herausfordert. Tanz als Ausdruck überschäumender Energie, Lebenslust, Freude an der Selbstdarstellung, Schönheit und Erotik fragt nicht nach Bedeutung und deshalb ist sie, falls es überhaupt eine gab, wahrscheinlich oft einfach in Vergessenheit geraten.


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